Animal Farm

Holger Kurt Jäger, Jonas Lund, Luc Palmer, Katja Tönnissen, Paloma Varga Weisz, Julia Wilczewski

Kunst & Denker Contemporary
2. September bis 22. Oktober 2023

Fotos: Kai Werner Schmidt

 

Die Ausstellung Animal Farm nimmt anhand ausgewählter Arbeiten der Künstler:innen Holger Kurt Jäger, Jonas Lund, Katja Tönnissen, Luc Palmer, Paloma Varga Weisz und Julia Wilczewski aktuelle Gesellschaftsentwicklungen in den Blick mit der Frage: Was definiert nicht nur unsere leibliche Verbindung zur Welt, sondern die facettierten doch auch zu splittern drohenden Denkfiguren, die uns umfangen? Ausgangspunkt der Betrachtung ist die 1944 verfasste und 1945 erschienene Fabel Animal Farm – A Fairy Story von George Orwell, mit welcher der Autor Kritik an totalitären Systemen ausübte. Orwells Reflexionen über Demokratie finden in den in der Galerie Kunst & Denker Contemporary gezeigten Werken in vielfältig medialer Sprache einen zeitspezifisch herausgearbeiteten Widerhall: So verbindet die Ausstellung künstlerische Überlegungen zu möglichen Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf den Wert menschlicher Arbeit und Kreativität, thematisiert durch die Verfremdung tradierter bildsprachlicher Formen die Vulgarität und das Hybride zwischen Mensch, Maschine und Tier, oder reflektiert anhand dem Sujet fragiler Projektionsflächen zeitgenössische Kommunikationsstrukturen sowie ein an sie geknüpftes, wucherndes Denken, das sich in surrealen Trug- und Zerrbildern vergegenwärtigt und zugleich in noch Unbekanntes diffundiert. 

Jonas Lund (geboren 1984 in Schweden, lebt und arbeitet in Amsterdam und Berlin) kleidet Gesten der Macht in symbolische (Tier-)Figuren wie in seinen als Tafelbilder gefassten Textilarbeiten: New Kings of the Jungle (2023) zeigt ein Interieur mit zwei in schwarzen Anzügen ausgestatteten Hunden, die vor einer verschwommenen Skyline jovial an einer gedeckten Tafel mit Drinks agieren, während The Future is Sold Buyer Beware (2023) zwei maskierte Gentlemen in einer Bürosituation in einer Konversation präsentiert. Beide Bilder sind aus der Interaktion des Künstlers mit Künstlicher Intelligenz hervorgegangen, hier durch den Text-zu-Bild-Generator Stable Diffusion. Lund verbindet dabei visuell überlieferte Symboliken autoritärer Erhabenheit mit aktuellen, subtileren Strukturen der Macht. Mit dem Jonas Lund proposal (fox) (2020) greift der Künstler neuartige Wertschöpfungssysteme der Kunst auf und etabliert sie als autarke ökonomische Quelle für seine eigene künstlerische Existenz. 

Julia Wilczewski (geboren 1987 in Duisburg, lebt und arbeitet in Düsseldorf) bringt surreal-figurative Körper hervor, die in ihrer obskuren Interaktion nahezu karikaturistisch einen Zustand des Zwischenweltlichen zum Gegenstand ihrer Bilder und Objekte werden lassen. Die Zeichnung Let me see (2012) zeigt ein Porträt des Surrealisten Salvador Dalí, dem durch einen starken Händegriff eines Gorillas die Augen geöffnet werden. Wilczewskis künstlerisch-zeichnerische Geste ist eine eindringliche vor dem Hintergrund möglicher Bilderzeugung durch Künstliche Intelligenz, wirkt ihr Motiv zwischen Fiktionalität und nunmehr real Gegebenem doch nahezu vorausschauend als persiflierender Kommentar zum Programm DALL-E und der vermeintlich augenöffnenden Funktion künstlich erzeugter Bilder. Mit der Skulptur Karriere einer Nase (2022) platziert sie in einem Mercedes-Benz-Elektroauto für Kinder die Keramik eines augenlosen Gesichtes, aus dessen Nase ein Pferdekopf wächst und als die eigentliche Pferdestärke sichtbar in Erscheinung tritt. 

In den Bildern und Objekten von Luc Palmer (geboren 1995 in Stuttgart, lebt und arbeitet in Düsseldorf) lösen sich Verortungen des Lebendigen auf: Seine abstrahierten Zeichnungen, Malereien und Keramiken umfassen Körper, die zwischen Natur- und Tierwelt mäandern und die allem voran die Präsenz des Existierenden umfassen. Filigrane Strukturen von Gewachsenem etwa, in sich leibhaft verschlungen oder durch Zeit vergehend, verbildlichen das Sein und Verschwinden, wie in den Zeichnungen byeontae 4 und 5 (2022). Aus organisch gestrichenen, nahezu fließenden Farbflächen wie in der Malerei 2022_08 (2022) treten geisterhaft animalische Körper hervor, die sich in feinläufiger Linienführung des Pinsels in ihrem möglichen Vorhandensein schwebend vergegenwärtigen. 

Der aus Lindenholz gefertigte Nasenaffe (2016) von Paloma Varga Weisz (geboren 1966 in Mannheim, lebt und arbeitet in Düsseldorf) trägt hütend eine menschenartige Figur, der kein Gesicht, ja keine Regung einverleibt ist. Die Zeichnung Maus (1999) zeigt eine auf überlangen Beinen stehende Mäusefigur, die mit ihrem Körper leicht nach unten gebeugt über ihre kugelgroßen Augen mit einem Menschen kommuniziert. Magisch, real, der Zeit entrückt und überzeitlich widmen sich die Skulpturen und Bilder der Künstlerin einer ursprünglichen Nähe zwischen Menschen und Tieren: verbildlichen Zwischenwesen, die Schutz geben oder suchen. In der künstlerischen Sprache von Paloma Varga Weisz wird die Facettenhaftigkeit von Lebenden deutlich – möglicherweise Gesehenes, Vorgestelltes, Erlebtes fließen ineinander, erlauben ein Wahrnehmen, das sich fernab des Ökonomischen bewegt, sondern von der Zartheit einer zu bewahrenden Innerlichkeit berichtet. 

Die präzisen Malereien von Holger Kurt Jäger (geboren 1979 in Düsseldorf, lebt und arbeitet ebenda) verhandeln die Beziehung zwischen Kulturmensch, Tier und Objekt. Jäger agiert in seinen Bildern mit einem Verfahren des malerischen Collagierens, sodass die von ihm mitunter auf der puren Leinwand gemalten Fragmente oder Anschnitte einer Figur eine assoziative Verknüpfung provozieren: In Form Follows Function (2022) oder Helium Talk (2021) sind es die suchenden Blicke eines Hundes oder einer Katze, die eine imaginäre Linie zu angenommener Geste und Pose der anonymisierten, distanzierten wie auch durch Mode, Fetisch und Design ästhetisierten Menschenkörper ziehen, deren Köpfe außerhalb des Bildes im Verborgenen bleiben. Kennzeichnete die Palme durch den Palmwedel oder das Palmblatt einst Heilige, Festliches, gar den Sieg, das Leben und Frieden, unterliegt ihre zeitgenössische Bedeutung einer durch Eskapismus eingefärbten Sehnsucht nach Ferne. Die Palme ist zu einer Projektionsfläche westlich erdachter Freiheit geworden, ein Narrativ, das sich nicht zuletzt durch einen über soziale Medien visualisierten Konsens manifestiert. Von der Fragilität einer solch erdachten Freiheit aber erzählt das Objekt Palermo (2022) von Katja Tönnissen (geboren 1982 in Kleve, lebt und arbeitet in Düsseldorf): Über einen an der Wand arretierten Träger, wie er im Alltag oftmals Handtüchern dient, hängt eine aus Keramik gefertigte Palmfigur schlaff nach unten, während auf der oberen Sprosse der Halterung ein exotischer Kunstvogel sitzt, der seinerseits den dekorativen Aspekt des Palmenbildes wie auch dessen inhärente Verzerrung anspricht.

Ähnlich, wie Orwells Fabel, bringt die Ausstellung Animal Farm die Fremdbestimmtheit durch übergeordnete Systeme erneut zum Reflexionsgegenstand. Das Recht, über sich und die Form des eigenen Lebens selbst zu entscheiden, ergreifen in Orwells Darstellung die Tiere gegenüber den Menschen – Respekt, Würde und gegenseitige Achtung gegenüber Sein und Tätigkeit fordern darin auch die Menschen untereinander, um ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit zu führen. Es ist diese gesellschafts-utopische Dichotomie, die sich in den bei Kunst & Denker Contemporary ausgestellten künstlerischen Werken spiegelt. In ihrer Zusammenführung reichen sie ein Angebot dar, inneren und äußeren Widerstreit zu lösen und in der Jetztzeit eine unabhängige Ausformung des Miteinanders zu (er-)kennen und zu (er-)finden.

 

Dr. Christina Irrgang

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